Den digitalen Produktpass meistern!
Der DPP als Gemeinschaftsprojekt der Einrichtungsbranche steht in den Startlöchern
„Jetzt ist der richtige Zeitpunkt anzufangen“, motivierte Gastgeber und Integrated Worlds-Geschäftsführer Klaus Bröhl die Zuhörer, „denn wer nur darauf wartet, wann die entsprechenden Regelungen in Kraft treten, verpasst die Dynamik, die schon jetzt im DPP steckt. Alles, was es dazu braucht, ist bereits vorhanden: Daten, Standards, Infrastruktur und jede Menge Anwendungsfälle.“
Niemand könnte dies besser demonstrieren als Keynote-Speaker Dominik Campanella, Mitgründer und CEO von Concular. Das 65-köpfige Team transformiert die Immobilien- und Baubranche hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft – mit Forschungsaktivitäten, Beratung, Lobbying, Normungsarbeit und der Einführung eines Gebäude-Ressourcenpasses. Die Wirkung ist in diesem Bereich besonders groß, da die Baubranche aufgrund ihres hohen Ressourcenbedarfs als größter CO2-Emittent gilt. „Wir merken, dass etwas in Bewegung kommt und dass wir den Bausektor nachhaltig verändern können“, sagte Campanella, der mit seiner Keynote für viel Gesprächsstoff auf dem Networking-Abend sorgte. Bei Live-Musik und dem ein oder anderen Kölsch wurden intensive Gespräche geführt und neue Kontakte geknüpft.
Klaus Bröhl, Dr. Holger Berg, Meik Billmann, Sascha Tapken, Prof. Dr. Ing. Dieter Wegener und Dr. Olaf Plümer im Gespräch (v.l.n.r.)
Am Konferenztag ging es thematisch direkt hinein in die Einrichtungsbranche, denn Klaus Bröhl, Dr. Holger Berg (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie), Dr. Olaf Plümer (Daten Competence Center und VDM), Prof. Dr. Ing. Wegener (Siemens Technology) und Meik Billmann (Industrial Twin Asssociation) erläuterten die Grundlagen für digitale Produktpässe Möbel und Küchen. Holger Berg stellte fest, dass der DPP das zentrale Informationssystem für alle Arten der Kreislaufwirtschaft werden wird. Die „grünen“ Schlagworte lauten: Re-fuse, Re-think, Re-duce, Re-use. Re-repair, Re-fubish, Re-manufacture, Re-purpose, Re-cycle und Re-cover.
Der IWOfurn Summit war auch deshalb so relevant, weil die Beschäftigung der Möbelindustrie mit dem DPP dringend notwendig ist. Denn auch wenn der genaue Zeitplan noch nicht feststeht, rechnen Insider mit Übergangsfristen bis 2028, bis die Ökodesign-Verordnung (Ecodesign for Sustainable Products Regulation – ESPR) in Kraft tritt. Bei der Umsetzung sollte also keine Zeit verloren werden, zumal einer Branchenlösung nichts mehr im Wege steht.
Denn über die Art und Weise der Umsetzung ist man sich weitgehend einig: Für jedes Produkt wird ein sogenannter Datencontainer – auch digitaler Zwilling genannt – benötigt. Und tatsächlich konnten pünktlich zum Gipfel zwei digitale Zwillinge präsentiert werden, die das Konsortium Furniture-X für einen Küchenschrank von Nolte Küchen und einen Sessel von Polipol erstellt hatte. Diese sind modular nach dem Baukastenprinzip der DPP 4.0-Struktur der Industrial Digital Twin Association (IDTA) aufgebaut und orientieren sich inhaltlich an den ECLASS-Merkmalen. Treibende Kräfte dieser Initiative waren Anika Degenhard (DCC), Stefan Willms (Morphe) und Zoran Subotin (Integrated Worlds).
Einen Einblick in die praktische Anwendung gab Ronja Zoppke (Aquinos Bedding). Der Matratzenhersteller beschäftigt sich seit Jahren mit Circular Design und steigert kontinuierlich die Recyclingquote – bei ausgewählten Produkten liegt sie bereits bei 66 Prozent. Praktische Eindrücke gab es auch von Ernst Esslinger (Homag), der aufzeigte, wie der Maschinenbauer mit Hilfe des digitalen Zwillings bereits den Engineering-Prozess vollständig virtuell abbilden kann. So wird der manuelle Aufwand deutlich reduziert, weil Komplikationen im Betriebsablauf, insbesondere bei der Inbetriebnahme, bereits im Vorfeld erkannt werden können.
Stefan Willms (Morphe), Geritt Hoeborn (FIR an der RWTH Aachen) sowie Patrick Sönke (Integrated Worlds) gaben kraftvolle Impulse für die wirtschaftlichen Potenziale, die im DPP liegen. Geritt Hoeborn stellte erfolgreiche Beispiele der Kreislaufwirtschaft vor, mahnte aber auch: „Die Transformation zu einer wertschöpfenden Kreislaufwirtschaft führt zu veränderten und komplexeren Geschäftsmodellen und erfordert strukturelle Veränderungen in den Unternehmen.“
Patrick Sönke betonte, dass die Technologien für den Digitalen Produktpass längst Realität sind und bereits aktiv zur Wertschöpfung im Tagesgeschäft beitragen. „Wir befinden uns nicht mehr in der Demonstrationsphase – die praktischen Anwendungen sind verfügbar und können sofort genutzt werden“, erklärte Sönke. In der Präsentation der Showcases von der Polipol Unternehmensgruppe und Nolte Küche wurde entlang des gesamten Produktlebenszyklus (siehe Abb. unten) veranschaulicht, welche Mehrwerte ein digitaler Zwilling bringt und wie der Digitale Produktpass nahtlos integriert werden kann:
Am Anfang steht die digitale Produktkonfiguration, bereits hier können Verkaufsunterstützende Informationen und weitergehende Informationen wie der CO2-Fußabdruck durch den digitalen Zwilling übermittelt werden. Künftig wird ein Produkt am POS im Beisein des Kunden digital konfiguriert und dabei sofort die Instanz eines Assets erzeugt und alle relevanten Informationen für den DPP werden unmittelbar erfasst und bereitgestellt.
In der Logistik und Montage bietet der digitale Zwilling jederzeit Zugriff auf Versandinformationen, Montageanleitungen und 3D-Modelle, wodurch Prozesse effizienter gestaltet werden.
Der Service profitiert davon, da passende Anleitungen sofort abrufbar sind, Reklamationen und Reparaturen können dokumentiert, klassifiziert und ausgewertet werden. Zudem wurde gezeigt, wie neben dem DPP auch die neu erforderliche EUDR-Registrierung bereits jetzt im digitalen Zwilling integriert wird. Nicht nur bei der Herstellung des Produktes, sondern auch im Servicefall – etwa bei einem Fußwechsel – ist die neue EUDR-Registrierung mit wenigen Klicks ersichtlich und der DPP aktualisiert.
Am Ende des Produktlebenszyklus unterstützt es die gezielte Rückgewinnung von Materialien, indem er präzise Informationen zu den verbauten Rohstoffen liefert.
Darüber hinaus ermöglichen die enthaltenen Daten nicht nur effiziente Prozesse, sondern bieten auch strategische Vorteile. So können Produkt- und Designtrends durch Big Data Analytics frühzeitig erkannt und in die zukünftige Entwicklung einbezogen werden. „Die Datenräume und Technologien sind bereit – die Zeit, sie zu nutzen, ist jetzt“, bekräftigte Patrick Sönke abschließend.
Die auf dem IWOfurn Summit diskutierten Themen werden vom FURNITURE-X Konsortium weiter verfolgt. „Wer den DPP aktiv mitgestalten und von den Vorteilen des digitalen Zwillings profitieren möchte, ist herzlich eingeladen, sich mit uns in Verbindung zu setzen“, so Dr. Olaf Plümer. Die Initiative Moebel Digit@l berichtet regelmäßig über die neuesten Entwicklungen rund um den DPP sowie über weitere Digitalisierungsbestrebungen in der Möbelbranche.